Von Mäusen und Mobbing
Von Schade, Anne-Katrin
In der Fantasy-Reihe "Warrior Cats" bekämpfen sich vier verfeindete Katzenclans. Buch für Buch für Buch. Warum kriegen Jugendliche nicht genug davon?
Die Lektorin Victoria Holmes mag keine Katzen. Was eigentlich kein Problem war, bis ihr Arbeitgeber, der Londoner Verlag HarperCollins, sie beauftragte, Jugendbücher über diese Tiere zu schreiben. Ihr, dem Hundemenschen, erschienen Katzen zu eigenwillig, zu schwierig. Und außerdem hatte sie eine Allergie. Sobald eine Katze in ihre Nähe kam, juckte die Nase, die Augen tränten. Dennoch schrieb sie ein Buch über Katzen - und danach noch 17 weitere.
Unter dem Pseudonym Erin Hunter veröffentlicht die Britin seitdem die "Warrior Cats", eine Fantasy-Reihe über vier verfeindete Katzenclans, deren Werke sich weltweit über 15 Millionen Mal verkauft haben und die 114 Wochen in der Bestsellerliste der "New York Times" standen. In Deutschland gibt es die Reihe seit fünf Jahren, im Mai erscheint der jetzt schon heißersehnte vierte Band der dritten Staffel. Fielen die Katzenbücher in die Kategorie Belletristik für Erwachsene, dann würden sie auch die SPIEGEL-Bestsellerliste dominieren.
Wer aber sind diese Millionen Leser? Man findet sie zum Beispiel in dem Forum auf Warriorcats.de.
Da schreibt eine Leserin: "Ich bin ja eigentlich lesefaul, aber für WaCa lass ich alles stehen und liegen! ICH LIEBE WARRIOR CATS!"
Ein anderes Mädchen sieht das ähnlich: "Diese Bücher sind einfach so gut geschrieben, und immer passiert etwas Aufregendes. Ich lese sie ratzfatz weg."
Und eine weitere Leserin findet: "Schade, dass die einzelnen Bücher so kurz sind (aber es gibt ja zum Glück staffelweise davon!)."
Victoria Holmes, 41, ist höflich und bescheiden, wenn man sie trifft, eine eher unauffällige Frau mit einem brünetten Pagenkopf. Ein Naturtyp. "Ich hätte niemals damit gerechnet, dass die Bücher so erfolgreich sein werden", sagt sie, und ihre Uneitelkeit klingt authentisch. Und: "Am liebsten würde ich bei jedem einzelnen Leser an der Tür klingeln und mich persönlich bedanken."
Die "Warrior Cats"-Serie ist keine hochliterarische Meisterleistung, sondern eine strategische. Sie ist Beweis dafür, dass man Bestseller doch planen kann. Es begann mit der Wahl des richtigen Pseudonyms: Erin, "weil das ein alter irischer Name ist und nicht zu mädchenhaft klingt", und Hunter, damit die Bücher in den Regalen der Buchhandlungen neben dem Fantasy-Autor Brian Jacques stehen. Das Kalkül dahinter ist: Die Bücher sprechen ähnliche Zielgruppen an, Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 15 Jahren.
Auch die Produktion der Texte basiert auf ökonomischen Überlegungen. Von Anfang an hat Holmes die Bücher in effizienter Arbeitsteilung geschrieben: Die Schriftstellerinnen Cherith Baldry und Kate Cary formulieren einige von Holmes' Manuskripten aus, die drei Frauen haben einen ähnlichen Schreibstil. Holmes setzt die Kolleginnen bewusst nach ihren Stärken ein: Die eine, Baldry, beschreibe alte, grummelige Katzen und Katzenkinder besonders lustig, die andere, Cary, beherrsche das große Drama, wenn ein Clanmitglied stirbt. Professionell, aber freundlich sei ihr Verhältnis. Holmes weiß, dass sie auf die Co-Autorinnen angewiesen ist. Nicht nur, weil sie im Team mehr "Warrior Cats"-Bücher auf den Markt bringen können, sondern auch, weil Baldry und Cary Katzen als Haustiere halten - und die Tiere lieben.
Und schließlich wählte Hunter ein archaisches, simples Setting: Vier Clans wilder Katzen teilen sich ein Waldgebiet, in dem es nicht genug Futter für alle gibt. Darum lassen sich die Katzen zu Kriegern ausbilden, räubern in den Gefilden anderer Clans und schlagen ihre Gegner brutal zurück. Sie schleichen sich an ihre Widersacher an, springen sie an, fahren die Krallen aus und ziehen ihnen die Tatze über die Nase. Und sie bohren ihre Zähne so tief in den Gegner, bis dessen Knochen knacken. Ihr Futter, Mäuse, Eichhörnchen, Fische oder Hasen, nennen sie nur "Frischbeute". In dieser darwinistischen Wirklichkeit überleben allein die Stärksten und Schlauesten. Martialisch. Und spannend.
Es versteht sich von selbst, dass Holmes den Katzen menschliche Züge gegeben hat und sie lieben und leiden lässt. Die Tiere müssen mit den großen Themen des Lebens klarkommen:
Gewalt. In fast jedem Kapitel gibt es harte Kämpfe.
Tod. Die Anführer der Clans haben neun Leben, alle anderen Katzen nur eines - und ständig sterben welche.
Verrat. Einige Katzen hintergehen andere aus ihrem Clan und trachten ihnen nach dem Leben.
Verbotene Liebe. Es kommt vor, dass sich Katzen aus unterschiedlichen Clans miteinander verbandeln.
Religion. Die Katzen fragen oft ihre Ahnen um Rat, den allmächtigen Sternenclan.
Die "Warrior Cats"-Reihe schreibt wie ein großes Fantasy-Epos mit langem Atem eine Chronik der Clans, die sich endlos fortführen lässt - mit sehr vielen Figuren. Katzen werden geboren, lassen sich zum Krieger ausbilden, kämpfen und sterben. Da verliert auch Holmes schon mal den Überblick, wie sie offen zugibt.
Die Clans integrieren jeden, unabhängig von Aussehen und Herkunft. Der Kater Feuerpfote zum Beispiel, eine der Hauptfiguren des ersten Bandes, wächst als Haustier bei Menschen auf, bevor er zu den Wildkatzen stößt. Es ist die wohl schlimmste Abstammung, die man sich vorstellen kann, wenn man bei den Kriegern landen will, denn die bezeichnen Hauskatzen als Weicheier und Parasiten. Feuerpfote jedoch steigt schnell zum Krieger und zum Anführer auf, weil er sich weitestgehend an die Regeln seiner Sippe hält: Schütze den Clan! Teile die Frischbeute! Gehorche dem Obersten! Töten ist erlaubt, um die eigene Sippe zu beschützen. Die eigene Gruppe zu hintergehen jedoch nicht. Verrat wird bestraft, wenn auch nur mit Mobbing. Was moralisch richtig ist, das flüstert den Katzen ihre innere Stimme zu. Holmes hat den Tieren auch ein Gewissen gegeben.
Das Gesellschaftssystem der Katzen ist reaktionär, barbarisch gar, mit Demokratie hat es nichts zu tun. Aber das Bedürfnis, einer Clique anzugehören - und einer anderen eben nicht -, gehört zur Pubertät wie die Pickel. In der idealen Peergroup hat man Freunde, die das eigene Leben für den anderen aufs Spiel setzen würden. So wie die "Warrior Cats".
Ähnliche soziale Gefüge sind Basis auch anderer erfolgreicher Jugendbuch-Reihen: Bei "Harry Potter" sind die Zauberschüler einem von vier Internatshäusern zugeteilt und damit einer bestimmten Gruppe. Bei "Twilight" bekriegen sich mehrere Clans, Vampire gegen Werwölfe und gute Vampire gegen böse Vampire. Und bei den "Wilden Hühnern" sind die Protagonisten Mitglied in einer Mädchen- oder einer Jungenclique.
Nicht in allen Büchern geht es so blutig zu wie bei den "Warrior Cats". Doch das Konzept ist das gleiche - die Gruppen haben charismatische Anführer. Die Gruppen verbünden sich mit anderen Gruppen, wenn es ihnen irgendwas bringt. Und sie haben einen uralten Ehrenkodex: Einer für alle, alle für einen.
Die jungen Leser finden bei den Katzen etwas, wonach sie sich in ihrem Leben sehnen: Abenteuer und echte Freundschaft. Um das zu verstehen, muss man nicht unbedingt Katzen mögen.